Zitat aus einer unbekannten Zeitung
Erding (mah) – Zunächst noch etwas langsam, aber im Laufe des Abends zusehends schneller und rasanter wurde bei der Fahrt mit der U-Bahn „Linie l“ durch Berlin „janz schön Socke gegeben“. Denn das erfolgreichste deutsche und einzige zeitgenössische Rock-Musical überhaupt mauserte sich vom Bahnhof Zoo nach Kreuzberg und zurück zu einer spritzigen, witzigen und rockigen Reise durch den Untergrund, die von den zahlreichen, zumeist jugendlichen Besuchern, begeistert mitgemacht wurde. Aber auch die älteren Zuschauer ließen sich mitreißen und applaudierten heftig.
Es hätte auch anders kommen können. Denn die Geschichte des naiven Mädchens aus der Provinz, das nach einer heißen Romanze einem jungen Rock-Musiker in die Großstadt Berlin folgt, ist nicht neu und die Gefahr, in Klischees und Kitsch zu verkümmern, ziemlich groß. Aber die Dialoge von Volker Ludwig, der auch die Lieder schrieb, waren realistisch genug, um den Zeitgeist wiederzugeben, witzig genug, im zu unterhalten und sensibel genug, um die Story lebendig zu machen. So geriet die Fahrt durch den Berliner Untergrund von Szene zu Szene rasanter, frecher, skurriler. Die Naivität und Spontaneität des jungen Mädchens, überzeugend gespielt von Jasmin Kalouti, wirkte wie ein frischer Wind, der sie alle durcheinander wirbelte und die besseren befühle dieser zum Teil chaotischen und tragischen Figuren, aber auch der Grufties und Spießer zu Tage förderte. Tragischer Höhepunkt des wilden Treibens in der Unterwelt bildete der Tod einer jungen Frau, die sich vor die U-Bahn warf. Die darauf folgende Diskussion und Gefühlsausbrüche zeigten deutlich, daß sich hinter den bunten Paradiesvögeln ganz schön sensible Kerlchen verstecken und die moralisierenden Biedermänner dagegen ganz schön cool reagieren können, denn „wer muß es denn wieder büßen? Wir natürlich, die kleinen Leute, die zu spät zur Arbeit kommen!“ Dabei stellt sich schnell heraus, daß eigentlich keiner so recht das ist, was er darstellt und so wundert es nicht, daß sich am Ende alle zusammen tun gegen die Kontrolleure – mit Erfolg und dem unheimlich guten Gefühl, ein Stück Gemeinsamkeit in die sonst eher trostlose U-Bahn gebracht zu haben.
Dazwischen immer wieder witzige und gut beobachtete U-Bahn-Fahrerinnen und Fahrer, die zwar ziemlich normal aussehen, aber unter deren Hut und Krawatte so manches Psychodrama lauert, nur nicht so sichtbar wie bei den rot und grün gefärbten Jugendlichen.
Am Ende, nach vielen unterhaltenden U-Bahn-Kilometern im Berliner Milieu fand schließlich für das junge Mädchen das Happy-End mit großer Fete in der Bahnhofshalle Zoo statt. Sie findet, trotz aller Irrungen und Wirrungen durch Berlins Unterwelt-Charaktere, zwar nicht das große, aber doch das kleine Glück „janz, wie icke es dir jesacht habe!“.
Insgesamt etwa 90 Rollen mußten bei dieser aufwendigen Produktion des ScalaTheaters Basel von den 10 Darstellerinnen und Darstellern gespielt werden. Mal Penner, mal tanzende Witwe, dann wieder Fremdenführer oder Risi und Bist, zwei wilde Berliner Gören. Oder vom nervösen jungen Mann zum Kind mutieren, mal Lola sein dürfen, mal türkische Ehefrau mimen müssen. Das alles und viel mehr mußte in fast dreistündigem rasantem Wechsel gespielt, gesungen und getanzt werden. Eine reife Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler, die von den Zuschauern am Ende begeistert gefeiert (Foto: mäh) und erst nach einigen Vorhängen und einer Zugabe des Songs „Fahr mal wieder U-Bahn“ entlassen wurden. Nicht zu vergessen dabei die fünf Musiker der „Linie 1 „-Band. Sie hatten von ihrem erhöhten Platz auf der Bühne alles fest im Griff und lieferten eine reife musikalische Mischung aus Jazz, Rock und Pop, komponiert von Birger Heymann.
Ein Abend, der den älteren Zuschauern zeigte, daß Punk nicht gleich Punk ist und schrille Kleidung nicht gleich schriller Typ bedeuten muß, andererseits ein Gruftie auch ganz schön schrill sein kann!