Shockheaded Peter (St. Gallen)

Garst’ger Struwwelpeter

Der Klassiker „Struwwelpeter“ als Grusical auf der Bühne, mit etwas Sex angereichert und noch blutrünstiger als das Original. „Shockheaded Peter“ feierte vorigen Freitag am St. Galler Stadttheater Premiere.
Zitat aus dem Internet von http://www.ostschweizerinnen.ch (23.09.2003)

 

Nein, besonders schön oder tröstlich sind sie nicht, die Geschichten im Struwwelpeter. Doch wenigstens ab und zu rettet ein versöhnliches Ende das Gemüt vor der Tristesse. Nicht so auf der Bühne.

Sex and Crime

Es kann darüber diskutiert werden, ob die Geschichten des Herrn Dr. Hoffmann aufgrund ihrer Grausamkeit jugend- oder kindgerecht sind. Die Bühnenfassung ist es eindeutig nicht. Hier fließt das Blut, es wird verstümmelt und gemordet. Auf der anderen Seite kommt auch der Sex nicht zu kurz – besonders im ersten Teil der Aufführung.

Erschreckende Aktualität

Die Geschichte vom Mohren, nur wenig abgeändert, lässt sofort an Rechtsradikalismus denken. Andere Szenen erschließen vor neuem Hintergrund überraschende Perspektiven. Paulinchens „Spiel mit dem Feuer“ zum Beispiel, oder der „Hans Guck in die Luft“, dessen geistige Abwesenheit dem Marihuana-Konsum zuzuschreiben ist. Der Hase aus der „Geschichte vom wilden Jägersmann“ (vgl. unten) wird zum Amokläufer und erschießt sich zum Schluss selbst – ähnliche Ereignisse haben vor nicht allzu langer Zeit für Aufsehen gesorgt.

Grellbuntes Punk-Märchen

Die Figuren scheinen geradewegs der Street Parade entsprungen zu sein. Oder einem poppigen Alptraum. Einzig die Musikkapelle sticht heraus. Adrett gekleidet wie Schüler eines englischen Elite-College untermalen sie die Szenen mit Musik, deren Bogen sich von Tangoklängen über verzerrte Kinderweisen bis hin zu Melodien spannt, die von einer Zigeunerkapelle stammen könnten.

Rocky Horror

Durch die einzelnen Szenen führt ein in Rot getauchter Erzähler, die eigentliche Hauptfigur des Stückes. Erinnerungen an die „Rocky Horror Picture Show“ werden wach. Ebenso wie Frank’n’Furter ist der Erzähler weder eindeutig männlich noch weiblich und trägt auch den einen oder anderen Zug des „Rocky Horror“-Gegenparts Riff Raff in sich. Er dirigiert das Grauen smart und souverän, ohne sich selbst einzumischen, und gleicht damit wiederum dem „Narrator“ aus eben diesem Musical. Da wie dort finden sich die ZuschauerInnen wieder in einem Reigen skurriler Figuren, die in einer Mischung aus Lust und Gewalt von Szene zu Szene einem dramatischen Ende entgegentreiben.

Die Moral von der Geschicht‘?

Gut, die „Kinder“ oder auch Jugendlichen aus „Shockheaded Peter“ sind nicht gerade das, was wir uns unter wohlgeraten vorstellen. Das sehnlich erwünschte Kind entwickelt sich zum Rebell und Aussenseiter. Doch auch die Methoden der Eltern, mit ihrem Wildfang fertig zu werden, sind alles andere als lieb und verständnisvoll. Werden die Kinder zu Rebellen, weil sie den Erwartungen der Eltern nicht entsprechen können oder wollen? Die Inszenierung legt es nahe. Besonders wenn der Erzähler gegen Schluss sagt: „Wer versucht, nur ein kleines bisschen anders zu sein, erntet nichts als Spott und Hohn.“

 

„Geschichte vom wilden Jägersmann“
„Des Hasen Kind, der kleine Has,
der auch an jenem Häuschen sass,
sich wegzuducken ganz vergass.
Das schoss der Has auch in die Nas
Es starb, die Nase in der Hand.
Ein Vorgang, den es nicht verstand.“

(Aus „Shockheaded Peter“, „Terzett“ 09/03)

 

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