Rekord: 27 Minuten standing ovations

Premiere der „Rocky Horror Show“ riß 1400 Zuschauer von den Sitzen / Frech-frivol, witzig-spritzig
Zitat aus einer unbekannten Zeitung (02.08.97)

-dt- Tecklenburg. „Okay!“ ruft Willi Welp ins Publikum und wirft sich mit Schwung rote Federboa um den Hals „Dann machen wir eben Party bis morgen früh.“ Die Zuschauer sind restlos aus dem Häuschen, fordern Zugabe um Zugabe. Wie ein Orkan branden Beifall, Pfiffe und schrille Schreie auf die Akteure nieder. Es ist einfach unglaublich: Der Schlußapplaus für die „Rocky Horror Show“ dauert sage und schreibe 27 Minuten. Das ist zweifellos Rekord auf der Tecklinburger Freilichtbühne. Das Kultmusical ist noch gar nicht zu Ende, da haben sich die Zuschauer längst alle von den Sitzen erhoben. Standing ovations für ein Ensemble, das am Donnerstagabend mit großer Spielfreude für ein (das?) Highlight im Tecklenburger Theatersommer sorgt. „Hair“ im vergangenen Jahr war schon spitze, doch mit der „Rocky Horror Show“ setzt dioe Bühne dieses Jahr noch einen drauf.

Rund 1400 Premierengäste gehen von Anfang an begeistert mit, gut 25 Minuten nach Beginn brennen die ersten Wunderkerzen. Zehn Minuten später stehen viele auf, tanzen in den Rängen. Einige sind verkleidet, die Gesichter bemalt. Und mitmachen ist angesagt. Bei der Hochzeitsszene fliegt Reis auf die Bühne. Als Brad und Janet eine Autopanne haben, simuliert das Publikum mit Wasserpistolen den Regen. Später, als „Rocky“ ausgewickelt wird, schießen Papierrollen von den Zuschauerrängen auf die Bühne. Ein Happening im besten Sinne des Wortes.

Grandios der erste Auftritt des Willi Welpe als Frank’n’furter. der rote Vorhang wird zur Seite geschoben, regungslos steht er da, der Transvestit aus dem galaktischen Transsylvanien. Mit einem Ruck reißt er sich den schwarzen Mantel vom Leib. Ein Aufschrei geht durch das Publikum: Nichts als Mieder und Strapse kleiden den bizarr Geschminkten. Und ein Slip, so kurz, daß jedes Wort für eine Beschreibung zu lang wäre. Sein erster Song mit Michael-Jackson-Griff in den Schritt provoziert Szenenapplaus. als Frank’n’furter ihnen die blanken Backen zudreht, geht ein Raunen durch die Reihen.

Mit Willi Welp als total abgedrehten Supertransi hat die Bühne einen Glücksgriff getan. Er spielt nicht, er ist Frank’n’furter. Mal völlig durchgeknallt, dann lieb und nett, aber auch brutal und böse. als er sich mit der Motorsäge des unbeliebten Eddie entledigt, die mutigen Überreste im Plastiksack präsentiert und so die Bühne in einen kleinen Horrorladen verwandelt. Jede Facette seiner Rolle nehmen die Zuschauer ihm ab. Bezeichnend die Szene, als er mit knappen Handbewegungen den Applaus des Publikums reguliert. Willi Welp ist schnell der Star.

Neben dem die anderen aber nicht verblassen. Es macht sich bemerkbar, daß die Bühne mehrere Castings durchgeführt hat, um die geeigneten Darsteller zu finden. Andreas Goebel und Sonja Farke als verklemmtes Pärchen Brad und Janet bieten eine ausgezeichnete Leistung und erhalten dementsprechend viel Beifall. Christian Venzke als skurill-düsterer Riff-Raff. Hendrik Ekdahl als Bodybuilder-parodierender Rocky, Tetje Mierendorf als Eddie und später Dr. Scott stecken mit ihrer Spielfreude das Publikum an. Nicht zu vergessen Irina Alex (Magenta / Usherettc) und Ines Baric als Columbia, das Ballett, der Bewegungschor und die Laien. Der Erfolg ist ein Produkt aller.

Besonders aber von Regisseur Nico Rabenald. Er hat einfach ein goldenes Händchen für Darsteller – und für eindrucksvolle Bilder auf der Bühne. Seine Inszenierung ist frech-frivol, witzig und spritzig im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn hinter einer weißen Leinwand der Beischlaf mit lautem Lustgestöhn täuschend echt simuliert wird. ist das echt shocking. Ein Höhepunkt eben. Theater fast ohne Tabus.

Fetziger Rock’n’Roll der Live-Band animiert nicht nur zum Mitklatschen, viele singen die alten, bekannten Stücke natürlich mit.

„Man hat’s nicht leicht, wenn man seinen Spaß haben will“, sagt Frank’n’furter. Stimmt nicht. Karten kaufen. „Rocky Horror Show“ gucken. Da hat man seinen Spaß.