Die Beine von Berlin

Das Revue-Ballett mit Erfolg : „Wunderbar – die 2002. Nacht“
Zitat aus ‚Sonderseiten der Berliner Bühnen‘ (26.04.2002)

Vor dem Friedrichstadtpalast halten Reisebusse aus halb Europa. Auch in Berlin hat es sich herumgesprochen: der Erfolg der neuen Revue „Wunderbar – die 2002. Nacht“ geht um die Welt. Die Auslastung des Theaters ist sehr hoch. Die Experten feiern das poetische Bildertheater dieser Revue als den neuen Showstil des 21. Jahrhundert.

Ein Zauberwort, und schon verwandelt sich der Friedrichstadtpalast in ein Märchen aus 1001 Nacht. So hervorragend die beteiligten Sänger und Artisten auch sind – traditionsgemäß ist das hauseigene, berühmte Ballett der eigentliche Star jeder Revue. Die 44 Damen und 22 Herren kommen aus neun Ländern, sogar aus Australien und Brasilien.

Mit tänzerischer Raffinesse verführt die bulgarische Tänzerin Eleonora Alexandrowa, als Frau des Sultans, einen Sklaven im orientalischen Lustgarten. Im Blutrausch eines enttäuschten Machos lässt der betrogene Herrscher sie hinrichten, nimmt sich fortan jeden Tag eine Jungfrau und lässt sie nach der Liebesnacht töten. Vor abgeschlagenen Rosenköpfen beendet dann der „Tanz der getöteten Frauen“ den eindrucksvollen Prolog.

Aus dem tanzenden großen Corps de ballett sticht ein Antlitz, ein Körper heraus: Susann Malinowski, die Solistin. Ihre aristokratisch anmutende Erscheinung passt gut zu ihrer Rolle als Scheherazade, die den Sultan 1001 Nacht lang durch ihr Geschichtenerzählen betört. Dank ihr hört das Morden auf – zur pompösen Hochzeit gibt es Huldigungstänze im goldglänzenden Thronsaal. Susann Malinowski ist glücklich über ihre Rolle: „Einmal Prinzessin sein, davon träumt jedes Mädchen. Als Revuetänzerin spiele ich hier das erste Mal eine durchgehende Rolle – nur mit den Ausdrucksmitteln des Tanzes.“

Erstmals schrieben Intendant Alexander IIjinskij, Jürgen Nass und Roland Welke eine mit durchgängiger Handlung gestaltete Revue, in der die Geschichte nach der 1001. Nacht – nun weitergeht. In wechselnden Bildern versucht Scheherazades missgünstige Schwester Dinarsade (lsabel Dörfler) den Sultan (Karim Khawatmi) rumzukriegen; die enttäuschte Scheherazade lässt sich vom Wesir (Christian Venzke) entrühren. Susann muss mimisch und tänzerisch diesen Wandel vollführen. Stolz, Verletztheit, Irrung, Hingabe. Ihre filigrane Gestalt wird zu einem Tanz-Kunstwerk.

Geboren und aufgewachsen ist Susann Malinowski in Schwerin. An der berühmten Palucca-Schule in Dresden scharrten von den 15 immatrikulierten Studenten nur drei die schwere Ausbildung, darunter Susann. Mit ihrer Größe von 1,76 Metern hat sie ideale Voraussetzungen für den Revue- und Showtanz. Sie bewirbt sich am Friedrichstadtpalast und erhält 1992 ihr erstes Engagement. Drei Jahre später wird sie Solotänzerin. „Die Malinowski“ hat erreicht, wovon die meisten Tänzer ein Leben lang träumen.

Es gefällt ihr, dass Ballettdirektor Roland Gawlik (früher gefeierter Solotänzer der Staatsoper Unter den Linden) auf klassischer Basis ein vielfältiges modernes Ballett formt, dem er alles abverlangt. „Der Friedrichstadtpalast ist unser Leben“, sagt Susann. Morgens Training, mittags Umbesetzungsproben, Neueinstudierungen, nachmittags Haushalt, abends Vorstellung. Siebenmal die Woche Auftritte, samstags sogar zwei. Nur am Montag kann sich ihr ausgelaugter Körper erholen, damit er ab Dienstag fürs Publikum wieder alles hergibt.

Für die Reisen durch Traumwelten schufen die Choreografen Birgitta Nass, Gail Davies-Sigler und Marvin Smith wunderbare Tanzfolgen in einem surrealen Bilderrausch. Susann und der Sultan tanzen auf einer sich drehenden Halbkugel im Rausch der Gefühle.

Der Evergreen des Hauses kommt kraftvollelegant als Schlussakkord: die berühmte Girlreihe. Darauf warten die Zuschauer jeden Abend, sie ist seit Jahrzehnten der ultimative Höhepunkt jeder Show. 64 hinreißende Beine schwingen, springen, federn, schreiten perfekt in Linie über die Bühne. Die Beine Berlins. Beine, die in Bruchteilen von Sekunden in einen betörenden Winkel von 120 Grad schnellen. Alle Girls tanzen synchron im gleichen Kostüm, alle Gesichter mit gleicher „Bühnenschminke“ für die Wirkung aufweite Sicht. Das macht ja gerade die Faszination der Girlreihe aus: Die rundum perfekte Synchronität der 32 Tänzerinnen, die das Publikum allabendlich zu Beifallsstürmen hinreißt.

Susann Malinowski kokettiert mit dem Publikum, dessen Liebe sie genießt. Jeden Abend das große Glücksgefühl für alle Künstler, wenn ihnen der Beifall der fast 2 000 Zuschauer entgegen braust. Der schönste Lohn für die anstrengende und harte Arbeit an jedem Abend.